Laufende Forschungsprojekte

Ernst Neufert – Architekt

International bekannt ist Ernst Neufert als Normenlehrer und vor allem auch als Systematiker des Bauwesens durch seine geradezu universell verbreitete „Bauentwurfslehre“, welche die Prinzipien funktio­nalistischer Architektur wie kein anderes Lehrbuch weltweit populär gemacht hat. In der Auseinandersetzung mit seinem gebauten Œuvre offenbart sich Ernst Neufert jedoch keineswegs nur als Protagonist einer dogmatisch normierten Baukultur.

Im Jahr 1900 geboren, studierte er ab 1919 bei Walter Gropius am Bauhaus in Weimar, war 1922 bereits Mitarbeiter in dessen Privatbüro und ab 1925 als Bauleiter am Neubau des Bauhauses sowie der Meisterbauten in Dessau beteiligt. Seit 1926 Professor an der unter Otto Bartning neu gegründeten Bauhochschule in Weimar, widmete sich Neufert nach seiner Entlassung durch die nationalsozialistische Regierung Frick ab 1930 als freier Architekt intensiv der Vorbereitung einer grundlegenden „Bauentwurfslehre“, die 1936 in Erstauflage erschien.

1938 wurde er von Albert Speer, dem Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin, zum Beauftragten für Normungsfragen ernannt und nach Hitlers „Erlaß zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaues nach dem Kriege“ 1940 mit der Untersuchung von Wohnungstypen und Luftschutz im Städtebau beauftragt. Daneben war er vorwiegend als Industriearchitekt tätig und publizierte im Mai 1943 erstmals seine „Bauordnungslehre“, die das bereits 1941 zur DIN 4171 erhobene „Oktameter-System“ als allgemein gültiges Baumaßsystem propagierte.

Als ordentlich berufener Professor an der TH Darmstadt prägte Ernst Neufert ab 1946 als Hochschullehrer, Architekt und international renommierter Autor maßgeblich das Profil der Architekturfakultät. Zudem setzte er vor allem als Industriearchitekt durch seine vielfach publizierten Bauten bemerkenswerte Zeichen des Wiederaufbaus im Westen Deutschlands und hinterließ durch seine Entwürfe für das Ledigenwohnheim sowie durch seine markanten Neubauten für die Technische Hochschule auch im Stadtbild Darmstadts seine Spuren; seine Industriebauten prägen bis heute das Bild der Rhein-Main-Neckar-Region.

Wohl wissend, dass Architektur mehr ist als „Maß“ und „Norm“, dass gerade eine konsequent funktionalistische Architektur in Konstruktion, Material, Fügung und Ausstattung bis ins Detail einer sorgfältigen Gestaltung bedarf, legte Ernst Neufert diesbezüglich an sich selbst, seine Studierenden und seine Mitarbeiter strenge Maßstäbe an. Bereits bei seiner Berufung nach Darmstadt plante er daher, seine bisher erschienenen beiden Lehrbücher baldmöglichst und in schlüssiger Konsequenz durch eine „Baugestaltungslehre“ zur Trilogie zu ergänzen; Mitte der 1950er Jahre folgte schließlich die entsprechende Bezeichnung der Professur.

Am „Lehrstuhl für Entwerfen, Baugestaltung und Industriebaukunde“ wurden – im Verbund mit dem dort ab 1958 zusätzlich eingerichteten „Institut für Baunormung“ – systematisch jene konstruktiven, funktionalen und ästhetischen Prinzipien des Entwerfens und Bauens vermittelt, die seit jeher auch die Grundlage der eigenen Arbeit gebildet hatten.

Doch im Gegensatz zur Bauentwurfslehre, die sich in der inzwischen 40. Auflage noch immer erfolgreich auf dem internationalen Fachbuchmarkt behauptet, und anders als die Bauordnungslehre, die zwei deutsche Nachkriegsausgaben erlebte und nach 1965 nicht wieder aufgelegt wurde, ist die im Berufungsverfahren angekündigte und auch später noch systematisch vorbereitete „Baugestaltungslehre“ niemals erschienen. Die Antwort auf die so wichtige Frage – wie auf der Basis sämtlicher für das Entwerfen notwendigen Grundlagen und deren systematischer Ordnung letztlich Architektur entsteht – konnte Ernst Neufert somit zumindest in seinem publizistischen Œuvre nicht mehr geben.

Sich allein aus diesem Grund beim Thema „Neufert“ von vornherein jeglichem Gedanken an gestalterische Qualitäten zu verschließen, wird jedoch weder der Person noch dem Leben, Werk und Wirken Ernst Neuferts gerecht, an dem sich wesentliche Entwicklungslinien moderner Architektur geradezu beispielhaft nachzeichnen lassen.

Erste Einblicke in das Projekt gaben Ausstellungen und Vorträge in Darmstadt, Dessau, Nürnberg und Weimar.

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