Abgeschlossene Forschungsprojekte

Lebensform und Stadtkultur: 100 Jahre Deutscher Werkbund

Werkbund-Ausstellung in Köln 1914, Plakat von Peter Behrens

Forschungsprojekt des FG GTA ab 2005

Projektteam:
Leitung: Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Werner Durth
Mitarbeiter: Brigittte Kuntzsch M.A.
Dr. phil. Christina Wagner-Conzelmann

Mit der Bewilligung des Projektantrags „Stadt im Werkbund“ durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft wird es dem Fachgebiet Geschichte und Theorie der Architektur ermöglicht, auf erweiterter Basis im Rahmen des TUD-Schwerpunkts „Stadtforschung“ die Vermittlung neuer Konzepte, Verfahren und Strategien der Stadtplanung am Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Werkbunds im Laufe des 20. Jahrhunderts zu untersuchen.

Es gibt wohl kaum eine andere Institution, an der man den Aufbruch in die Moderne des 20. Jahrhunderts und deren Entfaltung so differenziert untersuchen und so anschaulich darstellen kann wie am Deutschen Werkbund, der 1907 gegründet wurde und im Jahr 2007 sein hundertjähriges Jubiläum gefeiert hat.
Schon in der Vorgeschichte seiner Gründung um 1900 lassen sich auch Schlüsselfragen unserer Gegenwart wiedererkennen – etwa nach dem Verhältnis von Globalisierung und Regionalität, von Innovation und Tradition, Kunst und Technik – kulturelle und politische Spannungsverhältnisse also, die unter wechselnden historischen Bedingungen im Laufe eines Jahrhunderts höchst unterschiedliche Folgen nach sich gezogen haben.

Auf der Suche nach einer neuen Baukultur im Einklang mit dem in Deutschland spät, aber machtvoll aufbrechenden Industriezeitalter sollten um 1900 zunächst Erkenntnisse aus den bereits weiter fortgeschrittenen Industrienationen erörtert und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden.
Mit radikalen Vorschlägen für eine auf dem Weltmarkt endlich konkurrenzfähige „Qualitätsarbeit“ von der Herstellung alltäglicher Gebrauchsgegenstände bis hin zu einer an neuesten Verkehrstechniken orientierten Stadtplanung sollte Deutschland durch ein unkonventionelles Bündnis zwischen Politik und Wirtschaft, Kunst und Kultur zum Motor einer auch materiell sichtbaren Rationalisierung weltweit wirksamer Produktgestaltung werden.
Der Werkbund wurde zum Schrittmacher eines International Style der Architektur, mit einem umfassenden Gestaltungsanspruch „vom Sofakissen bis zum Städtebau“ (Hermann Muthesius). Als Vorbilder für moderne Architektur zeigten die Werkbund-Jahrbücher amerikanische Fabrik- und Gewerbebauten; durch eine ästhetische „Veredelung der Arbeit“ sollten auch die Industriebauten in Deutschland kulturelle Bedeutung erlangen. Die erste große Werkbundausstellung in Köln, 1914 unterstützt von dem jungen Kommunalpolitiker Konrad Adenauer, präsentierte bereits zukunftweisende Bauten von Architekten der jüngeren Generation.

Hochhaus an der Friedrichstraße, Modell nach Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe, Berlin 1921
Hochhaus an der Friedrichstraße, Modell nach Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe, Berlin 1921

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges brach die Konkurrenz zur so genannten Neuen Welt wieder auf: In einem geradezu schwärmerischen Amerikanismus arbeitete sich die kulturelle Elite Europas am großen Vorbild der Neuen Welt ab, entwarfen führende Architekten Visionen moderner Weltstadt-Architektur als Korrektur und Weiterentwicklung neuester Tendenzen in den USA.
In dieser Phase des kulturellen Wettbewerbs um die Hegemonie in der Gestaltung künftiger Metropolen begann sich jedoch in allen Bereichen des Bauens zugleich auch eine Tendenz zur Rückbesinnung auf regionale Bautraditionen abzuzeichnen, die ab 1927 im Streit um die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart plötzlich an programmatischer Schärfe gewann.
Ausgerechnet Mies van der Rohe, der seit dem Ende des Weltkriegs mit seinen abstrakten Entwürfen für ein Neues Bauen in Berlin Furore gemacht hatte, sollte im Auftrag des Werkbunds am Stadtrand Stuttgarts eine neue Siedlung in konsequent kubischen Formen realisieren. Im Stuttgarter Architekturstreit schlossen sich konservative Kollegen zum Architektenbund „Der Block“ zusammen und unterstützten ab 1928 die nationalsozialistische Kulturpolitik.

Gegen solche Tendenzen trieben die Architekten des Werkbunds mit Gleichgesinnten in Österreich und in der Schweiz die Bewegung des Neuen Bauens durch internationale Kontakte weiter voran:
Die Werkbundausstellung in Breslau fand 1929 weltweit Aufmerksamkeit; nach deutschem Vorbild waren unterdessen der Österreichische und der Schweizer Werkbund gegründet worden.
Doch ab 1929 wurde die noch junge Bewegung durch die Weltwirtschaftskrise blockiert, ab 1933 dominierte neben dem verordneten Neoklassizismus für die Großbauten der Partei und des Staates kontrastreich das handwerks- und landschaftsgebundene Bauen.
In neu geschaffenen NS-Institutionen wie „Kraft durch Freude“ und „Schönheit der Arbeit“ bezog man sich dennoch auf Programme des Werkbunds, obwohl er im Zuge der „Gleichschaltung“ faktisch aufgelöst worden war.

Internationale Bauausstellung Berlin 1957, in der Bildmitte Wohnhaus nach Entwurf von Walter Gropius und Kollegen
Internationale Bauausstellung Berlin 1957, in der Bildmitte Wohnhaus nach Entwurf von Walter Gropius und Kollegen

1946 wurde zunächst der Berliner Werkbund wieder zum Treffpunkt der an internationaler Orientierung Interessierten; nach Gründung verschiedener Landesverbände wurde 1947 ein „Nachkriegsaufruf“ verbreitet, unterzeichnet von namhaften Architekten.
In programmatischer Selbstbescheidung zeichnete der Diskurs der Architekten eine asketische Modernisierung des Alltags vor, die mit dem Anspruch auf Klarheit und Wahrheit funktionaler Formgestaltung ihren Ausdruck finden sollte.
Bis hin zu einer systematisch organisierten „Wohnberatung“ prägte der Werkbund die Alltagskultur der jungen Bundesrepublik. Es war Theodor Heuss, einst selbst Sekretär des Werkbunds, der als höchster Repräsentant der jungen Demokratie die Berliner Interbau 1957 als Nachfolge-Ausstellung zur Weißenhofsiedlung 1927 eröffnete.

Durch kritische Ausstellungen mit Titeln wie „Die große Landzerstörung“ und „Profitopolis“ öffnete sich der Werkbund jedoch schon nach einigen Jahren weit über das traditionell auf Fragen der industriellen Produktgestaltung zentrierte Themenfeld hinaus. Maßgebliche Mitglieder des Bundes unterstützten den öffentlichen Protest gegen Fehlentwicklungen in den Städten.
Dabei wurde auch der Werkbund selbst vom durchgreifenden Werte-Wandel in der Gesellschaft erfasst, wie sich bald in personellen Konsequenzen zeigte. So wurde beispielsweise von 1969 bis 1973 der durch seine kritischen Publikationen zur Stadtplanung bekannte Soziologieprofessor Hans Paul Bahrdt zum Vorsitzenden gewählt; seit 1971 engagierte sich verstärkt der Architekturhistoriker Julius Posener. Wie Bahrdt war auch er häufig Gast im Büro des Dachverbands des Deutschen Werkbunds, das seit 1971 im Atelierhaus der Künstlerkolonie in Darmstadt untergebracht war.
In den 70er Jahren fanden durch Wiederaufnahme des Darmstädter Gesprächs von 1951 die Darmstädter Werkbundgespräche statt. In diesen Jahren begann eine neue Ära, in der beispielsweise durch Kooperation mit dem in Darmstadt gerade gegründeten Institut Wohnen und Umwelt der „Wohnbund“ zur Unterstützung von Mieterinitiativen, Selbsthilfegruppen und Genossenschaften entstand. Auf der anderen Seite erforderte der rasante Wandel ästhetischer Präferenzen sowie die zunehmende Kritik an den aktuellen Erscheinungsformen moderner Architektur und Stadtplanung in der breiten Öffentlichkeit eine offensive Auseinandersetzung mit Tendenzen ansprüchlich „postmoderner“ Architektur und historisierender Stadtgestaltung. Bis in die letzten Jahre blieb der Deutsche Werkbund ein Spiegel der kulturellen Wandlungen in unserer Gesellschaft.

Werner Durth

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